King ist nur acht Jahre jünger als John Lee Hooker, aber dieser kleine Unterschied hatte große Folgen. Ende der sechziger Jahre, als der Rock allmählich seine
Schuld an den Blues abzuzahlen begann, war King noch jung und durchsetzungsfähig - und flexibel - genug, um sein neugewonnenes Ansehen in seine Laufbahn zu investieren und ihr eine andere Richtung zu geben. In der
Zusammenarbeit mit Künstlern und Produzenten verschiedenster Prägung übernahm er nicht nur die Rolle des Lehrers, sondern auch die des Schülers. Er lernte, sowohl mit den Rhythmen des Rock als auch mit dem Material von
Pop-Songschreibern und den Konzepten von Pop-Arrangeuren umzugehen. Schwer zu sagen, ob B.B. King von Natur aus anpassungsfähig ist, oder ob er sich diese Eigenschaft mühsam aneignete. Wie dem auch sei - möglicherweise ist
seine Anpassungsfähigkeit seine größte Stärke; zumindest in den sechziger Jahren war sie es sicherlich. Aber er besaß noch einen weiteren Vorteil gegenüber all den Bluesmen, die sich in einer ähnlichen Lage befanden, ob nun
Hooker, Muddy Waters oder Howlin´ Wolf, und anfangs erschien dieser Vorteil eher ein Nachteil zu sein: Er war dem Bluespublikum außerhalb der USA kaum bekannt. Es stimmt, daß einige seiner Alben und sogar eine oder zwei
Singles auf der anderen Seite des Atlantik - d.h. vornehmlich in Großbritannien - erschienen waren, und gelegentlich wurde sein Name auch in Musikzeitschriften erwähnt. Aber in jener Zeit bedeutete Blues für die Europäer vor
allem Chicago-Blues, das heißt, die Musik von Muddy Waters, Howlin´ Wolf, Sonny Boy Williamson 2 und Jimmy Reed und vielleicht noch "Außenseitern" wie John Lee Hooker aus Detroit. Blues-Interpreten außerhalb dieses
Zirkels wurden ignoriert, so rührig sie auch waren. Das führte zu seltsamen Verzerrungen: Musiker, die von B.B. King stark beeinflußt waren, etwa Buddy Guy, Magic Sam und Otis Rush, hatten außerhalb der USA einen größeren Namen
als der Mann, dem sie so viel verdankten. Als Kings Name über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannt wurde, schränkte ihn - im Gegensatz zu vielen Musikern aus Chicago - kein Repertoire alter Hits ein, nach dem das Publikum
immer wieder verlangte. Er konnte die Zukunft unbelastet angehen. Dabei konnte King auf seine Vergangenheit durchaus stolz sein. Anfang 1962 gelang ihm sein großer Durchbruch. Die Möglichkeit zeichnete sich ab, landesweit
ein multi-ethnisches Publikum zu erreichen: Er ging bei ABC-Records, einem großen Pop Label in New York, unter Vertrag. Zuvor hatte er ein Dutzend Jahre bei den in Los Angeles ansässigen Gebrüder Bihari verbracht und hatte
Aufnahmen für deren Labels RPM, Crown und Kent eingespielt, die fast auschießlich in Plattenläden für schwarze Musik verkauft wurden. In diesen zwölf Jahren brachte er über 70 Singles und mehr als 25 Alben heraus - ein
Vielfaches von dem, was Muddy Watersund Howlin´ Wolf zusammen produziert hatten. Im Gegensatz zum Publikum des Chicago Blues waren Kings Zuhörer geographisch und altersmäßig breit gestreut. Sie waren nicht auf Chicago und
ein paar Städte des Südens beschränkt, sondern verteilten sich auf das ganze Land. Zu ihnen gehörten auch viele jüngere Schwarze, die sich von Howlin´ Wolf und Waters´ rauhem, ungeschliffenen Southern Blues nicht angesprochen
fühlten. "B.B. ist relaxed, Mann", sagte ein schwarzer Fan zum Journalisten Charles Keil. "Nicht dieses Gekrächze aus dem Bauch ... B.B. hat den Blues umgekrempelt und verfeinert - keine Mundharmonikas, kein
Gestöhne oder Gejammere oder so´n Scheiß. Er hat den Blues auf Vordermann gebracht - er hat ihn eben modernisiert."
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